Sonntag, 5. Juni 2011

Unmündigkeit und Aufklärung

Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten Unmündigkeit.

Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere audi!

Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! Ist also der Wahlspruch der Aufklärung.

Faulheit und Feigheit sind die Ursachen, warum ein so großer Teil der Menschen nachdem sie die Natur längst von fremder Leitung freigesprochen – naturaliter maiorennes -, dennoch gerne zeitlebens unmündig bleiben, und warum es anderen so leicht wird sich zu deren Vor­mündern aufzuwerfen.

Es ist so bequem, unmündig zu sein. Habe ich ein Buch, das für mich Verstand hat, einen Seelsorger der für mich Gewissen hat einen Arzt, der für mich die Diät beurteilt usw., so brauche ich mich ja nicht selbst zu bemühen. Ich habe nicht nötig zu denken, wenn ich nur bezahlen kann, andere werden das verdrießliche Geschäft schon für mich übernehmen.

Dass der bei weiteren größte Teil der Menschen – darunter das ganze schöne Geschlecht – den Schritt zur Mündigkeit, außer dem, dass er beschwerlich ist, auch für sehr gefährlich halte, dafür sorgen schon jene Vormünder, die die Oberaufsicht über die gütigst auf sich ge­nommen haben. Nachdem sie ihr Hausvieh zuerst dumm gemacht haben und sorgfältig ver­hüteten, dass diese ruhigen Geschöpfe ja keinen Schritt außer dem Gängelwagen, darin sie sie einsperreten, wagen durften, so zeigen sie ihnen nachher die Gefahr, die ihnen drohet, wenn sie es versuchen, allein zu gehen.

Nun ist diese Gefahr zwar eben so groß nicht, denn sie würden durch einige mal Fallen wohl endlich gehen lernen, allein ein Beispiel von der Art macht doch schüchtern und schreckt gemeiniglich von allen ferneren Versuchen ab.

Es ist also für jeden einzelnen Menschen schwer sich aus der ihm beinahe zur Natur gewor­denen Unmündigkeit herauszuarbeiten. Er hat sie sogar liebgewonnen und vorderhand wirk­lich unfähig, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, weil man ihn niemals den Ver­such davon machen ließ.

Satzungen und Formeln diese mechanischen Werkzeuge eines vernünftigen Gebrauchs oder vielmehr Missbrauchs seiner Naturgaben, sind die Fußschellen einer immerwährenden Un­mündigkeit.

Wer sie auch abwürfe, wurde dennoch auch über den schmalesten Graben einen nur unsi­cheren Sprung tun, weil er zu dergleichen freier Bewegung nicht gewöhnt ist. Daher gibt es nur wenige, denen es gelungen ist, durch eigenen Bearbeitung ihres Geistes sich aus der Un­mündigkeit heraus zu wickeln und dennoch einen sicheren Gang zu tun.

Dass aber ein Publikum sich selbst aufkläre, ist eher möglich, ja es ist, wenn man ihm nur Freiheit lässt, beinahe unausbleiblich. Denn da werden sich immer einige Selbstdenkende, sogar unter den eingesetzten Vormündern des großen Haufens finden, welche, nachdem sie das Joch der Unmündigkeit selbst abgeworfen haben, den Geist einer vernünftigen Schät­zung des eigenen Werts und des Berufs jedes Menschen, selbst zu denken, um sich verbrei­ten werden.

Besonders ist hierbei, dass das Publikum, welches zuvor von ihnen unter dieses Joch ge­bracht worden, sie hernach selbst zwingt, darunter zu bleiben, wenn es von eigenen seiner Vormünder, die selbst aller Aufklärung unfähig sind, dazu aufgewiegelt worden, so schäd­lich ist es, Vorurteile zu pflanzen, weil sie sich zuletzt an denen selbst rächen, die oder de­ren Vorgängen ihre Urheber gewesen sind. Daher kann ein Publikum nur langsam zur Auf­klärung gelangen. Durch eine Revolution wird vielleicht wohl ein Abfall vom persönli­chem Despotismus und gewinnsüchtiger oder herrschsüchtiger Bedrückung aber niemals wahre Reform der Denkungsart zustande kommen, sondern neue Vorurteile werden eben sowohl als die alten, zum Leitbande des gedankenlosen großen Haufens dienen.

Zu dieser Aufklärung aber wird nichts erfordert als Freiheit und zwar die unschädlichste un­ter allem, was nur Freiheit heißen mag, die von seiner Vernunft in allen Stücken öffentli­chen Gebrauch zu machen. Nun höre ich aber von allen Seiten rufen:

Räsoniert nicht!

Der Offizier sagt: räsoniert nicht, sondern exerziert!

Der Finanzrat sagt: räsoniert nicht, sondern bezahlt!

Der Geistliche sagt: räsoniert nicht, sondern glaubt!

Nur ein einziger Herr in der Welt sagte: räsoniert soviel ihr wollt und worüber ihr wollt, aber gehorcht!

Hier ist überall Einschränkung der Freiheit.

Welche Einschränkung aber ist der Aufklärung hinderlich, welche nicht, sondern ihr wohl gar beförderlich?

Ich antworte: der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muss jederzeit frei sein, und der al­lein kann Aufklärung unter Menschen zustande bringen, der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern.

Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatge­brauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Pos­ten oder Amte von seiner Vernunft machen darf. Nun ist zu manchen Geschäften, die in das Interesse des gemeinen Wesens laufen, ein gewisser Mechanismus notwendig, vermittelst dessen einige Glieder des gemeinen Wesens sich bloß passiv verhalten müssen, um durch eine künstliche Einhelligkeit von der Regierung zu öffentlichen Zwecken gerichtet oder we­nigstens von der Zerstörung dieser Zwecke abgehalten zu werden.

Hier ist es nun freilich nicht erlaubt zu räsonieren, sondern man muss gehorchen. Sofern sich aber dieser Teil der Maschine zugleich als Glied eines ganzen gemeinen Wesens, ja so­gar der Weltbürgergesellschaft ansieht, mithin in der Qualität eines Gelehrten, der sich an ein Publikum im eigentlichen Verstande durch Schriften wendet, kann er allerdings räsonie­ren, ohne dass dadurch die Geschäfte leiden, zu denen er zum Teile als passives Glied ange­setzt ist.

So würde es sehr verderblich sein, wenn ein Offizier, dem von seinen Oberen etwas anbe­fohlen wird, im Dienste über die Zweckmäßigkeit oder Nützlichkeit dieses Befehls laut ver­nünfteln wollte, er muss gehorchen. Es kann ihm aber billiger maßen nicht verwehrt wer­den, als gelehrter über die Fehler im Kriegesdienste Anmerkungen zu machen und diese sei­nem Publikum zur Beurteilung vorzulegen.

Der Bürger kann sich nicht weigern, die ihm auferlegten Abgaben zu leisten, sogar kann ein vorwitziger Tadel solcher Auflagen, wenn sie von ihm geleistet werden sollen, als ein Skandal, - das allgemeine Widersetzlichkeiten veranlassen könnte – bestraft werden.

Ebenderselbe handelt dem ohn geachtet der Pflicht eines Bürgers nicht entgegen, wenn er als gelehrter wider die Unschicklichkeit oder auch Ungerechtigkeit solcher Ausschreibun­gen öffentlich seine Gedanken äußert.

Ebenso ist ein Geistlicher verbunden, seinen Katechismusschülern und seiner Gemeinde nach dem Symbol der Kirche, der er dient, seinen Vortrag zu tun, denn er ist auf diese Be­dingung angenommen worden. Aber als gelehrter hat er volle Freiheit, ja sogar den beruf dazu, alle seine sorgfältig geprüften und wohlmeinenden Gedanken über das Fehlerhafte in jenem Symbol und Vorschläge wegen besserer Einrichtung des Religions- und Kirchenwe­sens dem Publikum mitzuteilen.

Es ist hierbei auch nichts, was dem gewissen zur Last gelegt werden könnte. Denn was er zufolge seines Amts als Geschäftsträger der Kirche lehrt, das stellt er als etwas vor, in Anse­hung dessen er nicht freie Gewalt hat, nach eigenen Gutdünken zu lehren, sondern das er nach Vorschrift und im Namen eines andern vorzutragen angestellt ist. Er wird sagen: unse­re Kirche lehrt dieses oder jenes, das sind die Beweisgründe, deren sie sich bedient. Er zieht alsdann allen praktischen Nutzen für seine Gemeinde aus Satzungen, die er selbst nicht mit voller Überzeugung unterschreiben würde, zu deren Vortrag er sich gleichwohl anheischig machen kann, weil es doch nicht ganz unmöglich ist, dass darin Wahrheit verborgen läge, auf alle Fälle aber wenigstens doch nichts der inneren Religion Widersprechendes darin an­getroffen wird. Denn glaubte er das Letztere darin zu finden, so würde er sein Amt mit Ge­wissen nicht verwalten können, es niederlegen.

Der Gebrauch also, den ein angestellter Lehrer von seiner Vernunft vor seiner Gemeinde macht, ist bloß ein Privatgebrauch weil dieses immer nur eine häusliche, obzwar noch große Versammlung ist, und in Ansehung dessen ist er als Priester nicht frei und darf es auch nicht sein, weil er einen fremden Auftrag ausrichtet. Dagegen als Gelehrter, der durch Schriften zum eigentlichen Publikum, nämlich der Welt spricht, mithin der geistliche im öffentlichen Gebrauche seiner Vernunft, genießt einer uneingeschränkten Freiheit sich seiner eigenen Vernunft zu bedienen und in seiner eigenen Person zu sprechen. Denn dass die Vormünder des Volkes – in geistlichen Dingen – selbst wieder unmündig sein sollten, ist eine Unge­reimtheit die auf Verewigung der Ungereimtheiten hinausläuft.

Aber sollte nicht eine Gesellschaft von Geistlichen, etwa eine Kirchenversammlung oder eine ehrwürdige Classis – wie sie sich unter den Holländern selbst nennt – berechtigt sein, sich eidlich auf ein gewisses unveränderliches Symbol zu verpflichten, um so eine unauf­hörliche Obervormundschaft über jedes ihrer Glieder und vermittelst ihrer über das Volk zu führen und diese so gar zu verewigen? Ich sage: das ist ganz unmöglich.

Ein solcher Kontrakt, der auf immer alle weitere Aufklärung vom Menschengeschlechte ab­zuhalten geschlossen würde, ist schlechterdings null und nichtig, und sollte er auch durch die oberste Gewalt, durch Reichstage und die feierlichsten Friedensschlüsse bestätigt sein.

Ein Zeitalter kann sich nicht verbünden und darauf verschwören, das folgende in einen Zu­stand zu setzen, darin es ihm unmöglich werden muss, seine – vernehmlich so sehr an gele­gentliche – Erkenntnisse zu erweitern, von Irrtümern zu reinigen und überhaupt in der Auf­klärung weiter zu schreiten.

Das wäre ein Verbrechen wider die menschliche Natur, deren ursprüngliche Bestimmung gerade in diesem Fortschreiten besteht, und die Nachkommen sind also vollkommen dazu berechtigt, jene Beschlüsse, als unbefugter und frevelhafter Weise genommen, zu verwer­fen. Der Proberstein alles dessen, was über ein Volk als Gesetz beschlossen werden kann, liegt in der Frage: ob ein Volk sich selbst wohl ein solches Gesetz auferlegen könnte? Nun wäre dieses wohl gleichsam in der Erwartung eines bessern, auf eine bestimmte kurze Zeit möglich, um eine gewisse Ordnung einzuführen, indem man es zugleich jedem der Bürger, vernehmlich dem Geistlichen frei ließe, in der Qualität eines Gelehrten öffentlich, d.i. durch Schriften über das Fehlerhafte der mehrmaligen Einrichtung seine Anmerkungen zu ma­chen, indessen die eingeführte Ordnung noch immer fortdauerte, bis die Einsicht in die Be­schaffenheit dieser Sachen öffentlich so weit gekommen und bewährt worden, dass sie durch Vereinigung ihrer Stimmen – wenngleich nicht aller – einen Vorschlag vor den Thron bringen könnte, um diejenigen Gemeinden in Schutz zu nehmen, die sich etwa nach ihren Begriffen der besseren Einsicht zu einer veränderten Religionseinrichtung geeinigt hätten, ohne doch diejenigen zu hindern, die es beim alten wollten bewenden lassen.

Aber auf eine beharrliche, von niemanden öffentlich zu bezweifelnde Religionsverfassung auch nur binnen der Lebensdauer eines Menschen sich zu einigen, und dadurch einen Zeit­raum in dem Fortgang der Menschheit zur Verbesserung gleichsam zu vernichten und fruchtlos, dadurch aber wohl gar der Nachkommenschaft nachteilig zu machen, ist schlech­terdings unerlaubt.

Ein Mensch kann zwar für seine Person und auch alsdann nur auf einige Zeit in dem, was ihm zu wissen obliegt, die Aufklärung aufschieben, aber auf sie Verzicht zu tun, es sei für seine Person mehr aber noch für die Nachkommenschaft heißt die heiligen Rechte der Menschheit verletzen und mit Füßen treten. Was aber nicht einmal ein Volk über sich selbst beschließen darf, das darf noch weniger ein Monarch über das Volk beschließen, denn sein gesetzgebendes Ansehen beruht eben darauf, dass er den gesamten Volkswillen in dem sei­nigen vereinigt.

Wenn er nur darauf sieht, dass alle wahre oder vermeinte Verbesserung mit der bürgerlichen Ordnung zusammen bestehe, so kann er seine Untertanen übrigens nur selbst machen las­sen, was sie um ihres Seelenheils willen zu tun nötig finden, das geht ihn nichts an, wohl aber zu verhüten, dass nicht einer den andern gewalttätig hindere, an der Bestimmung und Beförderung desselben nach allem seinen Vermögen zu arbeiten.

Es tut selbst seiner Majestät Abbruch, wenn er sich hierin mischt indem er die Schriften wo­durch seine Untertanen ihre Einsichten ins reine zu bringen suchen seiner Regierungsauf­sicht würdigt sowohl wenn er dieses aus eigener höchsten Einsicht tut, wo er sich dem Vor­wurf aussetzt: Caesar non est supra grammaticus, als auch und noch weit mehr, wenn er seine oberste Gewalt soweit erniedrigt, den geistlichen Despotismus einiger Tyrannen in seinem Staate gegen seine übrigen Untertanen zu unterstützen.

Wenn denn nun gefragt wird: leben wir jetzt in einem aufgeklärten Zeitalter? So ist die Antwort: nein, aber wohl in einem Zeitalter der Aufklärung. Dass die Menschen wie die Sa­chen jetzt stehen, im ganzen genommen, schon imstande wären oder darin auch nur gesetzt werden könnten, in Religionsdingen sich ihres eigenen Verstandes ohne Leitung eines ande­ren sicher und gut zu bedienen, daran fehlt noch sehr viel.

Allein, dass jetzt ihnen doch das Feld geöffnet wird, sich dahin frei zu bearbeiten und die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung oder des Ausganges aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit allmählich weniger werden, davon haben wir doch deutliche Anzeigen in diesem Betracht ist dieses Zeitalter das Zeitalter der Aufklärung oder das Jahrhundert Friedrichs.

Ein Fürst, der es seiner nicht unwürdig findet zu sagen, dass er es für Pflicht halte, in Religi­onsdingen den Menschen nichts vorzuschreiben, sondern ihnen darin volle Freiheit zu las­sen, der also selbst den hochmütigen Namen der Toleranz von sich ablehnt, ist selbst aufge­klärt und verdient von der dankbaren Welt und Nachwelt als derjenige gepriesen zu werden, der zuerst das menschliche Geschlecht der Unmündigkeit, wenigstens von Seiten der Regie­rung, entschlug und jedem frei ließ, sich in allem, was Gewissensangelegenheit ist, seiner eigenen Vernunft zu bedienen. Unter ihm dürfen verehrungswürdige Geistliche, unbescha­det ihrer Amtspflicht, ihre vom angenommen Symbol hier oder da abweichenden Urteile und Einsichten in der Qualität der Gelehrten frei und öffentlich der Welt zur Prüfung darle­gen, noch mehr aber jeder andere, der durch keine Amtspflicht eingeschränkt ist. Dieser Geist der Freiheit breitet sich auch außerhalb aus, selbst da, wo er mit äußeren Hindernissen einer sich selbst missverstehenden Regierung zu ringen hat. Denn es leuchtet dieser doch ein Beispiel vor, dass bei Freiheit für die öffentliche Ruhe und Einigkeit des gemeinen We­sens nicht das mindeste zu besorgen sei. Die Menschen arbeiten sich von selbst nach und nach aus der Rohigkeit heraus, wenn man nur nicht absichtlich künstelt, um sie darin zu er­halten.

Ich habe den Hauptpunkt der Aufklärung, d.i. des Ausgangs der Menschen aus ihrer selbst verschuldeten Unmündigkeit, vorzüglich in Religionssachen gesetzt, weil in Ansehung der Künste und Wissenschaften unsere Beherrscher kein Interesse haben, den Vormund über ihre Untertanen zu spielen, über dem auch jene Unmündigkeit, so wie die schädlichste, also auch die entehrendste unter allen ist.

Aber die Denkungsart eines Staatsoberhaupts, der die erstere begünstigt, geht noch weiter und sieht ein: dass selbst in Ansehung seiner Gesetzgebung es ohne Gefahr dri, seinen Un­tertanen zu erlauben, von ihrer eigenen Vernunft öffentlichen Gebrauch zu machen und ihre Gedanken über eine bessere Abfassung derselben, sogar mit einer freimütigen Kritik der schon gegebenen, der Welt öffentlich vorzulegen, davon wir ein glänzendes Beispiel haben, wodurch noch kein Monarch demjenigen vorging, welchen wir verehren.

Aber auch nur derjenige, der, selbst aufklärt, sich nicht vor Schatten fürchtet, zugleich aber ein wohl diszipliniertes zahlreiches Heer zum Bürgen der öffentlichen Ruhe zur Hand hat – kann das sagen, was ein Freistaat nicht wagen darf: räsoniert, soviel ihr wollt, und worüber ihr wollt, nur gehorcht -!

So zeigt sich hier ein befremdlicher, nicht erwarteter Gang menschlicher Dinge, sowie auch sonst, wenn man ihn im großen betrachtet, darin fast alles paradox ist. Ein größerer Grad bürgerlicher Freiheit scheint der Freiheit des Geistes des Volks vorteilhaft und setzt ihr doch unübersteigbare Schranken, ein Grad weniger von jener verschafft hingegen diesem Raum, sich nach allem seinen Vermögen auszubreiten.

Wenn denn die Natur unter dieser harten Hülle den Keim, für den sie am zärtlichsten sorgt, nämlich den Hang und Beruf zum freien Denken ausgewickelt hat, so wirkt dieser allmäh­lich zurück auf die Sinnesart des Volks, - wodurch dies der Freiheit zu handeln nach und nach fähiger wird - , und endlich auch sogar auf die Grundsätze der Regierung die es ihr selbst zuträglich findet, den Menschen, der man mehr als Maschine ist, seiner Würde gemäß zu handeln.


Königsberg in Preußen, den 30.September 1784


I. Kant





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