Es
gibt eine Geschichte von Buddha, kurz nachdem er seine Erleuchtung
erlangt hatte. Er ging auf einer staubigen Landstraße entlang
und begegnete einen Wanderer. Der sah in ihm einen schönen Yogi von
bemerkenswerter Ausstrahlung.
„Du
scheinst ganz außergewöhnlich zu sein,“ sagte der Wanderer. „Was
bist du? Eine Art von Engel oder Deva? Offensichtlich bis du kein
Mensch.“
„Nein,“
sagte Buddha.
„Bist
du dann vielleicht eine Art Gott?“
„Nein,“
sagte Buddha.
„Ein
Hexenmeister oder Zauberer.“
„Nein,“
sagte Buddha.
„Dann
bist du also doch ein Mensch?
„Nein,“
erwiderte Buddha.
„Was
bist du dann?“
Darauf
antwortete Buddha: „Ich bin erwacht.“
Mit
diesen drei Worten „ich bin erwacht“ umschreibt Buddha den Kern
aller buddhistischen Lehren. Also so bezeichnet „Buddha“
jemanden, der erwacht ist.
Ein
Buddha zu sein bedeutet, jemand zu sein, der zur wahren Natur von
Leben und Tod erwacht ist und inmitten der Welt sein Mitgefühl
erweckt und befreit hat.
Auch
wenn man die Meditation praktiziert, dann wird nicht verlangt, dass
man Buddhist wird oder in Meditation versunkene oder spirituelle
Menschen. Man wird lediglich dazu eingeladen, die in jedem Menschen
eigene Fähigkeit „zu erwachen“ in Anspruch zu nehmen. Also
achtsamer zu sein und gegenwärtiger, mitfühlender und wacher, dass
ist etwas, das man lernen kann, wenn man auf einem Meditationskissen
sitzt, aber die Achtsamkeit hilft uns auch bei vielen anderen
Gelegenheiten: beim programmieren eines Computers, beim
Tennisspielen, beim Lieben oder beim Spaziergehen am Meer, wenn
wir das Leben belauschen wollen, das uns umgibt.
Wach
und wirklich gegenwärtig zu sein, ist tatsächlich wesentlich Kunst
in allen anderen Künsten.
Aber
man fragt sich: was ist das, zu dem man erwachen soll? Man erwacht zu
dem, was die Buddhisten Dharma nennen. „Dharma“ ist ein Wort aus
dem Sanskrit und Pali, das sich auf die universellen Wahrheiten
bezieht: das sind die Gesetze des Universums und die Lehren, die es
beschreiben. In diesem Sinne ist Dharam etwas, das sich
augenblicklich enthüllen kann. Es ist die Weisheit, die immer
gegenwärtig ist und nur darauf wartet, entdeckt zu werden.
Aber
das ist etwas anders, als darauf zu warten, dass Gott in Glanz und
Gloria vom Himmel herabsteigt, oder als eine große spirituelle
Erleuchtung oder als eine wundervolle übersinnliche Erfahrung. Das
Dharma der Weisheit, zudem wir erwachen können, ist die Wahrheit,
die genau dort ist, wo wir sind, wenn wir uns von unseren Fantasien
und Erinnerungen lösen und uns auf die Wirklichkeit der
Gegenwart einlassen. Wenn wir das tun und ganz aufmerksam sind, dann
beginnen wir, die Merkmale das Dharma in eben dem Leben zu erkennen,
das wir gerade leben. Zu den ersten Merkmalen des Dharma, die sich
während der Meditation enthüllen, gehören Unbeständigkeit und
Unsicherheit. „So sollst du denken über diese flüchtige Welt,“
heißt es in einem buddhistischen Sutra. „Ein Stern in der
Dämmerung, eine Luftblase in einem Fluss, ein Lichtblitz in einer
Sommerwolke, ein Echo, ein Regenbogen, ein Trugbild und ein Traum.“
Je ruhiger du sitzt, je genauer du beobachtest, desto deutlicher wird
dir, dass sich alles, was du siehst, in einem Zustand der
Veränderung befindet. Gewöhnlich erscheint uns alles, was wir
erleben, auch unsere Persönlichkeit, unsere Umwelt, unsere Gefühle
und die Gedanken in unserem Kopf. Es ist so, als wenn wir uns einen
Film anschauen und derartig von der Handlung gefangen sind, obwohl es
sich doch nur um flackernde Lichter auf einer Leinwand handelt.
Wenn du dich aber sehr sorgfältig konzentrierst auf das, was du
siehst, dann ist es möglich zu erkennen, dass der Film in
Wirklichkeit aus einer Folge von Standbildern besteht, die eines nach
dem anderen ablaufen. Eines erscheint, dann kommt eine kurze
Unterbrechung, und dann taucht das nächste auf.
Genau
das geschieht in unserem Leben. Denn es ist so: „Nichts im Leben
bleibt für eine sehr lange Zeit beständig oder unverändert. Du
brauchst kein Meister im Meditieren zu sein, um zu erkennen, dass
alles stets im Wandel begriffen ist. Konntest du jemals einen
bestimmten Geistesgegenstand über einen sehr langen Zeitraum
aufrechterhalten? Gibt es irgendetwas im Leben, dass ganz und gar
gleich bleibt?
Dies
bringt uns zum zweiten Gesetz des Dharma. Wenn wir wollen, dass
Dinge, die sich ständig ändern unverändert bleiben, und uns
daran festklammern, werden wir eine Enttäuschung erleben und leiden.
Nicht, dass wir leiden müssen, und es dient auch nicht dazu,
uns zu bestrafen. Es ist einfach der Lauf der Welt und es ist so
elementar wie die Schwerkraft.
Wenn
wir krampfhaft darauf bestehen, dass etwas so bleibt, wie es ist,
dann wird es sich trotzdem verändern. Wenn wir versuchen, daran
festzuhalten, „wie es war“, dann wird uns das, nur Leid und
Enttäuschung einbringen, denn das Leben ist ein Fluss, und alles
ändert sich.
Wenn
wir also beginnen, die Gesetze des Lebens anzuerkennen, dass die
Dinge unbeständig sind und das Anhaftung Leid verursacht, dann
können wir auch fühlen, dass es einen anderen Weg geben muss. Und
es gibt ihn. Man könnte diesen Weg auch als Unsicherheitsweisheit
bezeichnen. Das ist die Fähigkeit mit den Veränderungen zu fließen,
zu erkennen, dass sich alles in einem Wandlungsprozess befindet,
und sich entspannt in die Ungewissheit zu fügen. Die Meditation
lehrt uns, wie wir loslassen und inmitten des Wandels in unserer
Mitte bleiben können. Wenn wir erst einmal eingesehen haben, dass
wir eine gewaltige Menge Leid auf uns ziehen, wenn wir daran haften,
dass die Dinge gleich bleiben, dann erkennen wir auch, dass die
klügere Art zu leben darin besteht, sich zu entspannen und
loszulassen. Wir erkennen, dass Gewinn und Verlust, Lob und
Tadel, Lust und Pein zum Tanz des Lebens dazu gehören, der uns, die
wir im menschlichen Körper hineingeboren wurden, auferlegt ist.
Loslassen bedeutet nicht, den Dingen gleichgültig gegenüber zu
stehen. Es bedeutet viel mehr, dass wir uns in kluger und den
Umständen angepasster Weise, um die Dinge kümmern. In der
Meditation schenken wir unseren Körper eine sorgsame und
respektvolle Beachtung. Wenn wir nach der Natur des Körpers fragen,
dann stellen wir fest, dass er wächst, altert, gelegentlich krank
wird und am Ende stirbt. Bei der Meditation können wir den Zustand
unseres Körpers unmittelbar empfinden, die Spannungen, die wir in
uns festhalten, das Maß an Ermüdung oder Energie. Zeitweise fühlen
wir uns in unserem Körper wohl, zeitweise bereitet er uns Schmerzen.
Einmal sind wir ruhig, ein anderes Mal rastlos. Während der
Meditation haben wir die Empfindung, dass wir unseren Körper nicht
wirklich besitzen, sondern ihn vielmehr nur für eine kurze Zeit
bewohnen, und dass er sich in die Zeit von selbst verändert,
ohne sich darum zu kümmern, was wir gerne erleben möchten. Das
Gleiche gilt für unseren Geist und unser Herz, mit seinen Hoffnungen
und Befürchtungen, mit Freude und Leid. Je länger wir meditieren,
desto mehr Weisheit erwächst uns im Umgang mit dem, was als ganze
Katastrophe genannt wird.
Anstatt
aus vor schmerzhaften Erfahrungen zu fürchten und vor ihnen
wegzulaufen oder nach angenehmen Erfahrungen zu streben, in der
Hoffnung, sie mögen andauern, wenn wir uns nur daran
festklammern, werden wir schließlich erkennen, dass unser Herz
die Fähigkeit hat, für all das gegenwärtig zu sein und voller und
freier mit dem zu leben, was gerade da ist.
Wenn
wir erkennen, dass alles früher oder später verschwindet, die
angenehmen Dinge ebenso wie die unerfreulichen, dann können wir
uns dazwischen mit Gelassenheit einrichten.
Wir
meditieren also, um zur Erkenntnis der Lebensgesetze zu erwachen. Wir
erwachen, indem wir die Aufmerksamkeit von der Vielzahl unserer
Gedanken und Ideen abziehen und sie auf unseren Körper und unsere
Empfindungen lenken. Wir beginnen zu verstehen, wie unser Körper
und unser Geist funktionieren, und so können wir eine weisere
Beziehung zu ihnen aufnehmen. Der Kern dieses inneren Übungsweges
ist das aufmerksame Lauschen und Achten auf unser Umfeld, auf
unseren Körper, auf unseren Geist, auf unser Herz und auf die Welt
um uns herum. Das ist es, was als Aufmerksamkeit bezeichnet wird,
eine sorgsame und respektvolle Aufmerksamkeit.
Die
Achtsamkeit, die wir durch die Meditation lernen, ist unter allen
Umständen hilfreich. Man kann sie zum Beispiel während des
Essens einsetzen. Du kannst auf die Stimme in deinem Bauch hören,
die sagt: „Ich habe genug, ich fühle mich wohl, ich bin
gesättigt.“ Du kannst auch auf die Stimme in deiner Zunge hören,
die dazwischen flüstert: “Mensch, aber diese Frucht hat so gut
geschmeckt, lass uns noch etwas davon essen.“ Du kannst auch
auf deine Augen hören, wenn sie sagen: „Da drüben steht ein
Nachtisch, den wir noch nicht probiert haben.“
Durch
Achtsamkeit kannst du lernen, all diese verschiedenen Stimmen in
deinem Inneren zu hören. Du kannst ebenso lernen, mit voller
Aufmerksamkeit auf diene Gefühle zu achten, dir die angenehmen, die
neutralen und die unangenehmen Aspekte deiner Erfahrungen
bewusst zu machen. Du kannst lernen, dass dich nicht vor dem, was
schmerzhaft ist, zu fürchten brauchst und dass du dich nicht an das
zu klammern brauchst, was angenehm ist. Wir sind oft zum Glauben
erzogen worden, das dass so sein müsste, aber wenn wir meditieren,
wird es schnell offensichtlich, dass es uns weder zum Frieden noch
zum Glücklichsein führt, uns an die angenehmen Dinge zu
klammern oder die Dinge zu fürchten, die uns Schmerzen
bereiten. Tatsache ist: Die Dinge ändern sich, egal ob wir das nun
wollen oder nicht. Wenn wir darauf bestehen, dass alles so bleibt,
wie es ist, oder wenn wir das wegstoßen, was wir nicht mögen, dann
lassen sich Veränderungen auch nicht aufhalten. Es führt nur
zu weiterem Leiden.
In
der Meditation entdecken wir eine natürliche, offenherzige und nicht
bewertende Bewusstheit, für unseren Körper und unsere Gefühle.
Schritt für Schritt können wir diese gütige und offene Bewusstheit
dazu bringen, alles wahrzunehmen, was unseren Geist ausmacht.
Wir lernen, das Gesetz der Unbeständigkeit zu verstehen und ihm zu
vertrauen, d.h., dass wir damit anfangen, die Welt so zu sehen, wie
sie wirklich ist. Und im Verlauf dieses Prozesses beginnen wir zu
begreifen, wie wir zu allem, was ist, mit fühlend, gütig und weise
eine Beziehung herstellen zu können.
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